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Eine Reise unter die Haut

Nachdem ich ein Interview mit Gabor Maté gesehen hatte und von seiner Austrahlung, tief sitzenden Gelassenheit und Offenheit beeindruckt war, musste ich mehr erfahren. Glücklicherweise erschien Ende 2020 das erste Buch Wenn der Körper Nein sagt in deutscher Übersetzung.

Wer hin und wieder das Gefühl hat, gegen seinen Körper zu arbeiten oder denkt, einen Körper zu haben, der nicht immer so will, wie man sich das vorstellt, sollte um dieses Buch keinen Bogen machen. Es geht viel um verborgenen, besonders emotionalen, Stress und den Zusammenhang zu Autoimmunerkrankungen. Er beschreibt, wie unterdrückte Emotionen und unklare Grenzen in Beziehungen zu anderen Menschen dazu führen, dass der Körper gegen sich selbst Sturm läuft und versucht aufzuhalten, was der Geist nicht bewerkstelligt bekommt. Ein Satz, der mir besondern hängengeblieben ist: „Wut und Kummer liegen hinter der Fassade der Nettigkeit, egal in welchem Maße ein Mensch die Fassade für sein wahres Selbst hält.“ S.53

Es macht auf jeden Fall Sinn, das Buch zu lesen, bevor es pathologisch wird. Es dreht sich viel um die Rolle der kindlichen Prägung und die Notwendigkeit, Verantwortung zu übernehmen und aus dem Kreislauf unbewusster Weitgabe alter Traumata auszusteigen. Inhaltlich beschäftigt sich Gabor Maté überwiegend mit dem Erkennen und Wahrnehmen. Das Buch ist keine Handlungsanleitung. Im letzten Teil werden allerdings Prinzipien eines Heilungsweges geschildert. Die Umsetzung muss letztlich jede*r für sich individuell gestalten. Sein Weg sieht den Menschen als Ganzes eingebunden ins Ganze und das ohne Hokus Pokus sondern fundiert.

Das Buch ist sehr einfühlsam geschrieben, ohne dabei zu verwaschen. Viele Geschichten aus Interviews und seiner langen Erfahrung als Arzt werden mit Studien verknüpft und schaffen es so auf sanfte und verständliche Weise sehr konfrontative Aussagen nahe zu bringen. Geschickt erzählt er am Ego vorbei und erreicht so. Zumindest war ich in der Zeit des Lesens erhellt und durchgehend traurig. Mein Weltbild und den Blick auf meine Familienbeziehungen hat es einmal kräftig durchgeschüttelt. Die idealisierte Kindheit bröckelt. Das Buch hat das Potential, richtig was zu bewegen. Ich kann es euch nur ans Herz legen. Es ist ein guter Start für das neue Jahr.

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