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Eiswandern – Oberkörperfrei auf den Brocken

Ein stilles Abenteuer sollte es werden. Spontan und ohne viel Vorbereitung. Eine Herausforderung ohne großen Plan, was mich erwarten würde. Das erste Mal Eiswandern minimal bekleidet d.h. in Shorts, Stiefeln, Handschuhen und Mütze. Der Brocken ist von Potsdam als Tagesauflug gut zu erreichen und von meinen quasi Nachbarn Douwe und Josephine wohl erprobt. Eine ungewöhnliche Erfahrung ist es in der Tat geworden, nur ganz anders als erwartet. Dazu später mehr.

Meine ominösen Nachbarn

Die beiden haben die ICE Academy gegründet und bieten Workshops, Reisen und Ausbildungen rund um das Thema Kälte an. Wissenschaftlich fundiert und mit Herz bei der Sache. ICE steht für Intentional Cold Exposure. Manchmal befindet sich nach einem Workshop noch ein paar Tage ein kleiner Pool mit dem Resteis auf unserem Hof für den spontanen Dip ins kühle Nass. Verrückt oder?

Ziemlich cool war, dass mich beide mit allerlei Infomationen versorgt haben und ich am Ende doch gar nicht so planlos losgelaufen bin. Ich habe Empfehlungen für Unterkünfte, Route, Klamotten, Packreihenfolge und Zeitplan bekommen. Mir wurde gesagt, was mich körperlich und mental erwartet, wenn es wirklich kalt werden sollte. Douwe hat sogar für mich in den Wetterbericht geschaut und mir einen Tag empfohlen. Klingt banal, aber ich hätte im Leben nicht nach dem Wind geguckt. Der macht aber für das Kälteempfinden einen deutlichen Unterschied. Also falls ihr ähnliches vorhabt oder gar eine Gruppe für ein gemeinsames Abenteuer sucht, seid ihr bei den beiden in guten Händen.

Es geht los – Brocken ich komme

Die Brote sind geschmiert und die Sachen gepackt. Es verspricht ein sonniger Tag zwischen 0°C und 3°C zu werden. 2,5h, eine spannende Podcastfolge und einen Blitzer später, finde ich mich auf einem ziemlich vollen aber kostenlosen Parkplatz in Oderbrück wieder. Natürlich gibt es andere Startpunkte für Auftiege mit mehr Höhenmetern. Der Vorteil hier ist, dass ich direkt vom Parkplatz aus im Schnee starten kann. Also Shirt und Pulli aus und los geht’s.

In meinem Rücksack befindet sich normale, warme Kleidung in passender Reihenfolge für den Notfall, Blutorangensaft und kleine Snacks, die ich auch mit Handschuhen essen könnte. Da ich unvernünftigerweise alleine laufe, hab ich vorher jemandem Bescheid gesagt, dass ich loslaufe und ab wann sich die Person Sorgen machen darf, sollte ich mich nicht melden.

Abenteuer Aufstieg

Schon die letzten Kilometer im Auto begleitet mich ein fettes Grinsen. Sich relativ spontan in ein Abenteuer zu stürzen, setzt Energie frei. In dieser freudigen Erwartung des Ungewissen ist man ganz nah am Leben. Nach der langen Autofahrt ist mein Kreislauf natürlich noch recht träge, weswegen sich die ersten 500m ziemlich frisch anfühlen und ich einen etwas strammeren Schritt wähle. Aber es dauert nicht lang bis ich sogar ins Schwitzen komme. Artig behalte ich meine Mütze auf und die Handschuhe an. Man weiß ja nie. Der Aufstieg wirkt etwas fordernder als erwartet. Das kann an der Kälte liegen oder an meiner schlechten Angewohnheit vor Aufstiegen zu essen. So ein Vollkornbrot mit Nudossi und Knacker gelten wahrscheinlich nicht als leicht verdaulich.

Mein Schritt ist flott. Die meisten Menschen bergauf überhole ich. Neben mir plätschert ein Bach und schnauft die Brockenbahn. Auf der anderen Seite Weitsicht über die Landschaft. Es ist schon schön hier. Die Kälte spüre ich allerdings kaum. Nur meine Unterarme sind etwas fest geworden. Ich nehme sie für einige Meter hinter meinen Rücken, nah an den Körper und alles ist wieder gut. Wenn die Maschine einmal läuft, scheint es so zu bleiben. Ich komme am Gipfel an.

Selbst nach gemütlichem Umschauhen und einer kleine Fotopause, bleibt mein Körper warm. Allerdings ballert die Sonne auch ganz schön und es weht nur ein laues Lüftchen. Es ist fast schon angenehm trotz der Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt. Ursprünglich wollte ich auf dem Gipfel wieder Sachen anziehen, aber da es so gut läuft, mach ich den Abstieg auch direkt so in der Hoffnung, dass ich mehr Schatten habe oder noch Wind kommt. Dem ist nicht so und der Weg nach unten ist entspannt. Über drei Stunden Eiswandern in Shorts und alles tutti. Das ist schon eine Überraschung für mich. Aber wo ist die Herausforderung?

Eine Übung in Präsenz, Selbstbewusstsein und Schlagfertigkeit

Ein Abenteuer war es, nur eben kein stilles. Am Wochenende bei solch guten Witterungsbedingungen hätte ich es ahnen können. Auf dem Weg sind mir hunderte von Menschen begegnet und geschätzt jede*r Zehnte hat in irgendeiner Form reagiert. Da gab es verhaltenes Lachen und Getuschel, schüchterne Blicke, freundliches Lächeln, Daumen hoch, stockenden Atem und Respektsbekundungen. Ist dir nicht kalt? und Hast du eine Wette verloren? waren wohl die häufigsten Fragen. Da wird man schnell zum gebetsmühlenartigen Nein-Sager. Gelegentlich wurde es etwas lauter und irgendwer brüllte MASCHINE! oder verglich mich mit einem Wikinger. Sogar von Deutscher Härte war die Rede. Offenbar gibt es die auch weit ab vom rechten Rand.

Auf die Spitze getrieben hat es eine Jungsgruppe auf der Spitze (budumm-tsch). Einer wollte, warum auch immer, Liegestütz sehen. „Leg vor. Ich zieh nach.“ sagte ich und gewann eine Currywurst + Pommes, die ich dankend ablehnte. Was ich vom Einstechen mit Holzpieksern auf Currywürste halte, lässt sich hier nachlesen. Als ich dabei war, ein Beweisfoto mit Selbstauslöser zu schießen, fragte mich ein stämmiger Herr, ob er denn auch ein Foto von mir machen könnte. Ich fragte zurück, ob ich danach auch eins von ihm oberkörperfrei machen dürfte und das Gespräch war recht schnell beendet.

Irgendwie löste mein kleiner Ausbruch aus dem Üblichen bei den Menschen ein Bedürfnis, sich irgendwie dazu zu verhalten, aus. Ich war schon mehr am Interagieren als am in Ruhe wandern. Fasziniert hat mich vorallem die Ungläubigkeit vieler Menschen, denn ganz ehrlich bei den milden Temperaturen wäre es für die meisten wahrscheinlich selbst im Bereich des Möglichen. Naja wenn man es nicht probiert, weiß man es nicht.

Menschen, die es verstanden haben

Rückblickend haben sich viele Menschen herausgefordert gefühlt, Position zu meiner Unternehmung zu beziehen, oder es irgendwie für sich festzuhalten. Ein paar gab es aber, die in meinen Augen verstanden haben, wie die Welt funktioniert. Das waren sicherlich einige andere Sportler, die sich z.B. mit dem Gravel-Bike hochgequält haben, Da reicht ein Blick, um zu wissen, dass unsere Herzen in einem ähnlichen Rhythmus schlagen. Aber vorallem waren es Menschen, die statt Sprüche zu klopfen, einfach das Gespräch gesucht haben und Fragen stellten. Keine Scheu vor ernsthafter Komunikation und gleichzeitig Wissbegierde. So steht man mit beiden Beinen im Leben und schaut nicht nur vom Seitenrand aus zu und brüllt irgendwas Belanglosen wie beim Fußball.

Resümee Eiswandern

Kann man machen. War spannend und macht glücklich. Auch wenn es am Ende etwas weniger Herausforderung und dafür mehr Sozialstudie wurde. Werde es bestimmt noch mal wagen, aber dann wahrscheinlich eher zu einer weniger frequentierten Zeit wie unter der Woche oder im Dunkeln mit Stirnlampe und bei etwas unangenehmeren Temperaturen. Wenn ich euch Lust auf mehr machen konnte, startet doch einfach mal mit einer kalten Dusche oder einem Eisbad. Theoretischen Input findet ihr z.B. in Josephines Buch. Sonst könnt ihr euch auch immer gerne bei mir melden.

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