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Komfort tötet – langsam aber sicher

Ja, wirklich. So wie es da steht, meine ich es. Kein Clickbait, keine Übertreibung. Dein Komfort tötet. Unter Komfort verstehe ich nicht nur Netflix und Fernsehsessel sondern die temporäre Abwesenheit von Spannung, Unzufriedenheit und Unzulänglichkeit. Mit töten meine ich nicht nur ein Sterben auf physischer Ebene sondern genauso auf emotionaler und geistiger. Einige erwarten jetzt vielleicht die übliche Kette von Bequemlichkeit zu Übergewicht zu erhöhtem Risiko von Herz-Kreislauferkrankungen und einem potenziell früheren Tod und vorallem wenig guten Geschichten im Sterbebett. Natürlich stimmt das und bei wem das noch nicht angekommen ist, der hat seine Tatkraft wohl bisher in die Entwicklung von Scheuklappen investiert. Mir geht es aber um mehr.

Die versteckte Angst vor Komfortverlust

Hunger ist ein scheiß Gefühl, besonders nach einem stressigen Tag im Büro oder einem nervenaufreibenden Vortrag in der Uni. Klassischer Fall. Die Bahn hat Verspätung und wir stehen mit knurrendem Magen und viel Zeit am Bahnsteig. Die Abhilfe kostet nur wenige Euro und gibt es meist direkt auf dem Gleis. Zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Kein Hunger und Zeitvertreib. Bei dem Tag haben wir uns das auch verdient. Schließlich haben wir hart gearbeitet. Doppelte Komfortverlustvermeidung. Nicht nur das Wort ist unsexy, denn im Grunde wissen wir, dass der Snack sicher nicht der Gesundeste war, wir Zuhause trotzdem direkt nochmal nachlegen und wir auch irgendwie auf den guten Geruch oder die leuchtende Werbung reingefallen sind. Ein schwacher Moment.

Übrig bleibt, dass wir mehr als nötig gegessen haben, die Essensqualität eher bescheiden war, die Manipulation der Werbung wirkte und wir uns gar nicht mal viel besser fühlen. Vielleicht ein bisschen. Für den Moment. Aber Warum? Hunger ist unkomfortabel. Warten ist unkomfortabel. Keine direkte Belohnung für unseren Aufwand ist unkomfortbel. Uns nicht wenigstens selbst Anerkennung zu geben ist unkomfortabel. Etwas nicht zu nehmen, obwohl wir danach verlangen ist unkomfortabel. Erstmal verhindert Komfort unangenehme Gefühle.

Nur jedes Mal wenn wir wider unserer Intuition den einfachen Bedürfnissen aus Angst vor Diskomfort nachgeben, schwächen wir uns. Im Fall schlechter Ernährung natürlich körperlich. (Hierzu kann ich auf jeden Fall den Ernährungskompass* von Bas Kast empfehlen.) Aber genauso emotional, wenn wir nicht unserer Intuition folgen und geistig, wenn wir uns schon von der reinen Verfügbarkeit rumkriegen lassen. Welche Frau fühlt sich denn wie eine Königin, wenn allein der Geruch eines Croissants von Le Crobag zur Verführung reicht? Und welcher Mann fühlt sich wie ein Samurai, wenn er mit Holzpiekser auf eine Currywurst einsticht? Wir alle verkaufen uns immer mal wieder unter Wert. Sonst gäbe es diese Läden nicht. Wir tun es, weil es komfortabel ist. Zumindest in dem Moment. Langfristig werden wir schwach, unzufrieden und immer empfänglicher für äußere Einflüsse. Unser Bedürfnis nach Komfort tötet uns, langsam aber sicher. Die Bedürftigkeit verwässert, wer wir sind.

Ein Prinzip, das unser Leben bestimmt

Komfort tötet schleichend unsere Persönlichkeit. Wenn wir klar für etwas stehen, werden wir immer Reibungspunkte für Konflikte bieten. Es wird viele Menschen geben, mit denen wir nicht einer Meinung sind. Das ist gut, denn so werden wir und unsere Ideen immer wieder auf die Probe gestellt. Wir können nur gewinnen und wachsen, egal wie der Konflikt ausgeht. Entweder wird unsere Überzeugung stärker oder wir sehen, wo wir uns revolutionieren müssen. Einzig wer im Komfort verweilt, bleibt auch im Sessel kleben und verliert mitunter alles.

Nehmen wir das leidige Thema der Partnersuche. Wer nicht bereit ist, den Diskomfort einer ersten Kontaktaufnahme mit dem reizvollen Gegenüber aus Angst vor Ab- oder Zusage zu wagen, wird wahrscheinlich alleine und bedürftig sterben. Komfort tötet Zweisamkeit. Auch bereits in einer Beziehung zeichnet sich dieses Bild fort. Wer die Spannung eines ungelösten Konflikts nicht aushält, wird wegrennen oder immer Ja und Amen sagen. Nichts davon macht langfristig glücklich. Das Erste ist feige und das Zweite bedürftig. Nicht gerade Attribute attraktiver Persönlichkeiten.

Das Prinzip lässt sich auf unfassbar viele Bereiche anwenden und natürlich auch aufs Training. Für einige beginnt der Diskomfort schon beim in die Hand nehmen eines Buches, für andere erst nach 10 Seiten. Ja, lesen kann man trainieren und natürlich ist es nicht immer komfortabel, sich länger auf eine Sache zu konzentrieren. Aber wenn du nicht aufpasst tötet dein Komfort auch noch dein Potenzial etwas von dieser Welt zu verstehen.

Im körperlichen Training ist es das selbe Prinzip. Für die wirklich großen Gefühle nach einer überstandenen Herausforderung wie 1000 Liegestütz braucht es eine dauerhafte Resilienz gegenüber Diskomfort. Anders bleibt nur das Verharren in der Durschschnittlichkeit. Vorausgesetzt man fängt überhaupt an. Sonst reicht es nicht mal dafür. Ganz klar, Komfort tötet Sixpacks …und große Gefühle. Erst wer es schafft, wenn es abartig anstrengend und unangenehm wird, noch weiterzumachen, wird in Sport mehr als ein nerviges Pflichtprogramm für Gesundheit und optische Attraktivität sehen können.

Nicht nur was für Egozentriker

Im Grunde kommen wir immer wieder auf das Problem des Komforts zurück, auch in der Gemeinschaft. Nur aus Unfähigkeit Diskomfort auszuhalten, gibt es fertig geschälten Spargel im Supermarkt und Kaffee to go an jeder Ecke. Vielfliegerei und immer fettere Autos mit automatisch schließenden Kofferraumklappen. Fast Food. Politiker*innen ohne Persönlichkeit. Zeitungen, die schreiben, was jeder hören will. Müllentsorgung im Meer. Smart Home und elektrische, beleuchtete Pfeffermühlen. All das und sicher noch viel mehr existiert, weil wir bedürftig nach Komfort sind. Was uns im Kleinen abhanden kommt, ist, was der Welt im großen fehlt. Mut und Bereitschaft Diskomfort zu erfahren. Unser Komfort tötet nicht nur uns und unsere Potenziale sondern auch unseren Lebensraum.

Plädoyer für den Diskomfort

Wie bei so vielem im Leben kommt uns Resilienz nicht einfach zugeflogen. Wir müssen Diskomfort üben. Dazu reichen das Lesen eines forschen Artikels und ein Switch im Mindset nicht aus. Sie sind aber ein Anfang. Der nächste Schritt wäre das bewusste Erleben und nicht nur Aushalten sondern Wertschätzen von Diskomfort. Die kalte Dusche am Morgen oder ein Bad im Freien, wenn alle anderen noch Jacken tragen, sind schnell umsetzbar. Der Moment der Überwindung mag unangenehm sein. Das lebendige, wache Gefühl danach hat allerdings Suchtpotenzial.

Ein Narr ist, wer hier aufhört oder einfach immer länger im eisigen Wasser bleibt. Es geht um Herausforderung. Ein Messen mit dem Diskomfort. Solange ihr Zeitpunkt, Dauer und die Art der Herausforderung bestimmt, geht es an der Realität vorbei. Wenn ein Streit vom Zaun bricht oder sich euer Arbeitsplatz verflüchtigt (#corona), wisst ihr nie, wie lange der Zustand der Spannung und Unzufriedenheit anhält und wann er eintritt. Manchmal werdet ihr es auch nicht schaffen, ihn zu überwinden. Was dann kommt, ist erst so richtig unkomfortabel.

Bei ADD Lead habe ich letztens einen guten Aufkleber gesehen. „Es ist keine Herausforderung, wenn du weißt, dass du es schaffen kannst.“ Genau das sollte Hin und Wieder Teil eurer Praxis sein. Nur so ist es möglich die Spannung dieses grandiosen Lebens auszuschöpfen und in vollen Zügen zu genießen. Wenn ihr alleine trainiert, setzt euch Challenges, deren Ausmaß und Schaffbarkeit ihr vorher nicht abschätzen könnt. Besucht z.B. Freunde oder Familie in der nächsten Stadt mal zu Fuß. Wenn ihr nicht regelmäßig joggt, meldet euch einfach für ein Rennen an. Probiert regelmäßig etwas Neues mit Verpflichtung.

Seid ihr in einem aktiven Umkreis oder habt sogar Trainingspartner*innen, dann setzt euch Challenges wie in 6 Monaten einen Handstand frei zu stehen oder 100 Liegestütz am Stück zu schaffen. Für den Extrakick setzt euch Konsequenzen, wenn es nicht klappt. Essenseinladungen kommen immer gut an. Dann lasst es aber richtig schick sein. So habt ihr zumindest ein besonderes Erlebnis, auch wenn es nicht ganz frei Haus ist.

Sonst gebt euch für eine Zeit in die Hände eines Coaches oder Trainers, der euch mal so richtig Feuer unterm Hintern macht, euch überrascht und gleichzeitig auffängt, wenn ihr scheitert und Unzulänglichkeit erfahrt. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass das oft sehr prägende Momente sind. Sprecht mal mit älteren Menschen und hört, welche Geschichten sie behalten haben und wie oft sie sagen werden: „Das war schön. Daran erinner ich mich gerne. Da war alles wie immer und ist einfach seine Bahnen gegangen.“. Große Gefühle kommen immer mit Diskomfort vorweg. Das Leben zu leben, bedeutet, sich nicht vom Komfort töten zu lassen. Auf in den Kampf.

Auf dem Foto bin ich mit Ellen bei 9°C Wassertemperatur in der Havel baden.

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