Zum Inhalt springen

Sinn und Unsinn von Einmal ist Keinmal

Einmal ist Keinmal ist in der Art du Déplacement und im Parkour eine ungeschriebene Regel, die es immer wieder zu hören gibt. Oft gerade nachdem sich jemand überwunden hat und für sich etwas Großes erreicht hat. Für den oder die Praktizerende kann das Motivation oder Demotivation sein. Zumindest manchmal schießt der eigentlich gute Gedanke am Ziel vorbei. Hin und wieder ist noch die Ergänzung Dreimal ist Einmal angehangen. Selbst nutze ich beide Varianten beim Unterrichten.

Zum Ursprung von Einmal ist Keinmal

Wenn ich mich recht entsinne, stammt die Regel noch aus einer Zeit, in der Parkour nicht von der Art du Déplacement abgespalten war. Größere Herausforderungen bzw. Sprünge galt es immer dreimal zu absolvieren, damit sie als geschafft gelten konnten. Der erste Versuch war für sich selbst. Es ging darum, die mentale Hürde nach langer (mitunter Jahre) physischer Vorbereitung endlich zu knacken. Der zweite Versuch war der Beweis, dass das einmalige Schaffen kein Zufall war. Besonders nach dem Abflauen der ganzen Anspannung, die sich vor dem ersten Versuch sammelte, als die Machbarkeit noch ungewiss war, kann der zweite Versuch eine ganz neue Herausforderung sein.

Die ersten beiden Versuche waren für sich selbst. Der dritte Versuch war für jemand anderes, dessen Schicksal einem gerade am Herzen lag. Eine Widmung. Diese Reihenfolge ist wichtig. Erst aus einem stabilen Selbst heraus, ist es möglich, anderen eine ernsthafte Hilfe zu sein. Andersherum ist die angebotene Hilfe eher eine versteckte Selbsthilfe und transportiert das nächste Problem gleich mit. Im Flugzeug gilt es auch, sich die Atemmaske erst selbst aufzusetzen und dann anderen dabei zu helfen. Es macht wenig Sinn vorher auf halbem Wege abzukacken. Hart aber von Herzen: Wer seinen Shit noch nicht auf der Reihe hat, ist anderen nicht die Hilfe, die er sein könnte.
Intrinsische Motivation > extrinsische Motivation

Einmal ist Keinmal im Trainingsalltag

Dieser ursprüngliche Gedanke wird nur selten mit transportiert. Hängengeblieben ist vorallem, dass einmal nicht ausreicht und so fungiert die Regel vorallem zur Motivation, sich einen Sprung mehrmals vorzunehmen und nicht von einem schnellen Erfolg zum nächsten zu hetzen. Denn sind wir doch mal ehrlich. Nur weil wir eine Herausforderung einmalig geschafft haben, heißt es nicht, dass es an dieser Stelle nichts mehr zu lernen gibt. Wirklich in unserem Kopf verankert ist sie nach einem geglückten Versuch in Relation zu den vielen Vorbereitungsversuchen sehr wahrscheinlich auch nicht.

Die Herausforderung dreimal zu bewerkstelligen ist ein guter Weg, mit dem Rausch des Erfolgs nicht gleich zum nächsten großen Ding zu flirren, sondern Selbstbewusstsein in der Bewegung und dem nötigen Mindset zu entwickeln. Besser ist es noch, die Challenge nicht ruhen zu lassen, bis die drei erfolgreichen Versuche auch in Folge geklappt haben. Das Verinnerlichen der Herausfordung durch mehrmalige Wiederholung ist eine Form von Respekt ihr gegenüber und sich selbst gegenüber. Geschafft und weg birgt wenig Wertschätzung, für das, was ihr da gerade für euch erreicht habt.

Dreimal ist nicht das Ende

Aber auch nach dreimaligem Gelingen in Folge kann nur schwerlich die Rede von Meisterung sein. Zwar fühlt man sich das nächste Mal sicherer, aber je nach vergangener Zeit kommt es einem fast wie ein Neulernen vor. Hierzu noch ein paar Anregungen.

Lasst uns davon ausgehen ihr habt die drei Versuche einer Challenge sauber in Folge absolviert. Eine Möglichkeit ist natürlich immer, noch mehr Versuche abzuackern. Mehr Versuche, mehr Daten, mehr Anpassung, mehr Sicherheit. Ein anderer Weg wäre, das Thema im Training zu wechseln und die Challenge kurzzeitig zu vergessen. Am Ende des Trainings kommt ihr dann nochmals zurück für weitere drei astreine Wiederholungen. So könnt ihr testen, wie tief der Bewegungsablauf schon verankert ist.

Beim nächsten Training am selben Ort packt ihr den Sprung oder was auch immer euch so viel abverlangt hat in in einen Zirkel aus entweder konditionellen oder technischen Übungen. Wichtig ist, dass ihr euch pro Runde nur einen Versuch gebt. Am Ende der Runden solltet ihr wieder drei saubere Wiederholungen haben. Der letzte Schritt weiter, wäre dann irgendwann den Sprung vorm Training aus dem Kalten direkt zu beherrschen. Solltet ihr da angekommen sein, habt ihr die erste Stufe von Isolation zu Integration zu Improvisation gemeistert. Aber das ist mal ein anderer Artikel. Ein gewichtiger Teil liegt hier bereits hinter euch.

Die Schattenseite von Einmal ist Keinmal

Wie die meisten Dinge kann auch diese Regel negativ wahrgenommen werden. Das schreibe ich bewusst so, denn es liegt im Grunde in unserer Hand, wie wir damit umgehen. Aber vielleicht hilft ein Bewusst-machen den Blick zu verändern. Lasst mich mit einer klaren Ansage starten. Einmal ist nicht Keinmal.

Ich weiß, es klingt erstmal unsinnig, da die ganze Zeit das Gegenteil Thema war. Mir geht es darum ein Missverständnis zu vermeiden. Einmal ist Keinmal bezieht sich ausschließlich auf die Meisterung einer Herausforderung. Es ist völlig richtig, nach einem erfolgreichen Versuch nicht laut durch die Gegend zu posaunen, was für ein toller Hecht man sei, weil mal diesen Sprung jetzt beherrscht. Abgesehen von dem mitunter eher peinlichen Aufmerksamkeitsbedürfnis ist es schlicht verfrüht. Emotionslosigkeit oder gar Abwertung nur einmaliger Erfolge sind allerdings genauso wenig eine gesunde Lösung.

Der oben beschriebene Ablauf der vielen erfolgreichen Versuche in Folge ist natürlich nur ein Ideal, dass erreichbar ist, aber eben nicht immer sofort. In der Realität folgen nach einem gestandenen Versuch nicht immer ausreichend weitere. Die Zeit wird knapp, die Kraft lässt nach, die Konzentration schwindet. So isses. Deswegen spricht man auch von üben und nicht perfekt sein.

Das Ideal ist nur ein Ziel vor Augen, quasi die Kompassnadel, die die Richtung weißt. Solltet ihr euer großes Ziel je erreichen, passiert auch nicht mehr, als dass sich eure Kompassnadel im Kreis dreht und ihr orientierungslos seid, bis ihr euch einen neuen Komposs mit neuer Orientierung (neuem Ziel) sucht. Entscheidend ist also weniger das Ideal zu erreichen sondern der stetige Weg vorwärts. So gesehen ist auch eine einmalig geschaffte Herausforderung ein Schritt voran.

Ja, es ist richtig. Einmal ist Keinmal, wenn ihr etwas meistern wollt. Aber lasst euch davon nicht abhalten, einmalige Erfolge wie blöde zu feiern. Es freut sich ja auch niemand erst beim zweiten Kind, weil das erste Zufall gewesen sein könnte.

Das Bild ist schon etwas älter und von Jonas Zeidler (@JoZeidler) zu meinem Geburtstagstraining geschossen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert