Spiel und Ernst sind zwei Pole zwischen denen unsere Bewegungspraxis stattfindet. Wie sonst kaum orientieren wir uns hier oft an den Extremen. In ihrer Reinform bergen beide ihre Tücken. Dazu ein paar Eindrücke, die ich kürzlich beim Unterrichten gewonnen habe und teilen möchte, um die Reflexion der eigenen Bewegungspraxis anzustoßen.
Inmitten von Wald und Asphalt
Wald und Asphalt (als Symbol für Gegensatz und Symbiose von verspielten und ernsthaften Strukturen) war der Name des Festivals zum 10-Jährigen Jubiläum der ADD und Parkour Community in Potsdam. Dort hatte ich die Möglichkeit unter anderem zwei Workshops mit furchtbar kreativen Namen zu unterrichten. One Shot, One Kill und Laid Back Progression. Ohne mir dessen im Vorraus bewusst gewesen zu sein, haben die beiden Workshops jeweils Spiel oder Ernst die Tür weiter geöffnet und die zugehörigen Tücken sichtbarer werden lassen.
Es wird Ernst
One Shot, One Kill war ganz klar Ernst. Wir joggten durch die nähere Umgebung. Unterwegs stellte ich verschiedene Herausforderungen. Wer Initiative ergriff und sich an eine der Challenges heranwagte, hatte nur einen Versuch. Passierte zu lange nichts, ging es weiter. Der Druck und die Schwierigkeit stieg zunehmend. Ohne lange zu fackeln, hieß es schnell die eigenen Fähigkeiten einzuschätzen. Zeit, Misserfolgen nachzutrauern, gab es nicht. 90min hoch fokussiert.
Der Ernst der Situation dominierte. Genau da und nicht in den einzelnen Herausforderungen lag der anspruchsvolle Teil des Workshops. Wer mit selbstauferlegten Leistungsanspruch vielleicht sogar gepaart mit Unsicherheit gegenüber den eigenen Fähigkeiten startete, sah wenig Sonne. Die Last des Ernstes wurde erdrückend. Was manche beflügelte, lähmte andere.
Es ist Spiel
Laid Back Progression ging am nächsten Tag in eine völlig andere Richtung. Ähnlich einem Zirkeltraining gab es eine Runde mit verschiedenen Stationen/Bewegungen/Herausforderungen. Im gemütlichen Tempo mit geringer Intensität ging es los. Mit jedem Durchlauf bot ich schwierigere Varianten der einzelnen Stationen an, bis jeder sein Level gefunden hatte. Automatisch (in dem Fall mit Empfehlung) fokussieren sich die Teilnehmenden dabei oft auf eine bestimmte Bewegung, die ihnen schwer fällt. An den anderen Stationen passiert die Verbesserung dann schleichend oder nicht. Es ist schlicht nicht so wichtig und ermöglicht ein entspanntes, parasympathisches Training. Die eine fokussierte Station kommt pro Runde nur einmal vor und bietet so nicht genug Raum, wirklich Druck aufzubauen. Stattdessen ist Platz für einen lockeren Spaß am Rande. Spielerisches, langsames Suchen der Grenzen steht im Mittelpunkt.
In dieser angenehmen Leichtigkeit liegt aber auch die Gefahr, eben keine Progression mehr anzutreiben. Aus dem einen Spaß zwischendrin wird eine gesellige Unterhaltung. Das langsame Voranschreiten führt zu Ungeduld und mündet in Ablenkung. Stück für Stück zerstreut sich die Gruppe. Im Spiel und Spaß löst sich langsam jegliche Dynamik auf. Im Moment kann sich das ganz wohlig anfühlen. Langfristig trägt es aber nicht.
Ein Plädoyer für ernsthaftes Spiel
Es ist völlig richtig, mit Ernst bei der Sache zu sein. Genauso wie es gut ist, spielen zu wollen. Auf die stabile Mitte kommt es an, sonst wird aus Ernst Übereifer und Verbissenheit und aus Spiel Blödelei. Es geht um eine Ausgewogenheit der inneren Einstellung, sodass Spiel mit Ernst und Ernst verspielt begegnet wird.
Umso strenger und fordernder der Rahmen ist, umso entspannter sollte die Herangehensweise sein. Eine Herausforderung. Ein Versuch. Egal ob Erfolg oder nicht, ihr seid im Spiel und beide Teile sind gleichermaßen Part des Ganzen. Entscheidend ist, aus dem Spiel nicht auszusteigen. Ohne Misserfolg würde kein Erfolg Spaß machen. Er wäre selbstverständlich und das ist langweilig. Ein guter Spieleabend unter Freunden macht doch auch Spaß, selbst wenn ihr kontinuierlich scheitert. Es ist eben nur der Rahmen für Geselligkeit und furchtbar gute schlechte Witze. Ja, er ist wichtig, aber nicht überzubewerten.
Ist der Rahmen hingegen freier und legerer, kommt es umso mehr auf eine innere Struktur mit einem klar anvisierten Ziel an. Wer nicht genau weiß, wohin die Reise gehen soll, wird wahrscheinlich überall und nirgends ankommen, jeden geselligen Moment nutzen und ,ohne zu wissen wovon eigentlich, permanent abgelenkt sein. Natürlich kann das auch mal eine ganz angenehme Erfahrung sein. So richtig kann die Freiheit aber nur nutzen, wer weiß, wohin er sich entfalten möchte und das nicht aus den Augen verliert. Auch parasympathisches Training ist Training und nicht Kaffeklatsch. Also im Ernst Leute, spielt ernsthaft. *zwinkersmilie*