Kaum ein Thema scheidet die Community so stark wie dieses. Für die einen sind Art du Déplacement und Wettkampf absolut unvereinbar. Ein Dämon der angreift, was so mühevoll geschaffen wurde. Eine Praxis reich an altruistischen Tugenden und humanistischen Werten. Für andere ist Wettkampf ein Weg raus aus der Scheiße. Eine Chance von der eigenen Leidenschaft zu leben, sozialer Aufstieg, Anerkennung oder einfach eine gute Zeit unter Gleichgesinnten. Ein gutes Spiel.
Gerade weil beide Seiten wirklich gute Beweggründe für ihren Weg haben, wiederholt sich die Debatte. Aber außer der Gefahr der Ab- und Ausgrenzung gibt es da nichts zu holen. Ganz ehrlich? Dazu steuer ich auch nichts Neues bei. Für mich geht die Diskussion völlig am Thema vorbei. Die Frage ist doch nicht, ob ich mit jemandem um die Wette renne oder nicht, sondern wie meine eigene Praxis aussieht. Was ist die Intention hinter meinem Training? Was verstehe ich unter Art du Déplacement?
Wettkampf in meiner Praxis? Wirklich?
Auf den ersten Blick hat Art du Déplacement, so wie ich sie praktiziere, gar keine Berührungspunkte mit Wettkampf. Entweder trainiere ich für mich alleine oder gemeinsam mit Freunden und beim Unterrichten spielt meine eigene körperliche Leistung nicht die tragende Rolle. Im Grunde kann ich wie die Meisten für mich praktizieren und mir meine eigenen Challanges suchen. Trotzdem bietet mir ADD ein entspanntes Auskommen. Von Wettkampf keine Spur oder? Warte. Hat Oli gerade wirklich den Sprung gerissen? Das war meine verdammte Challange. Fuck, was stimmt nicht mit meinem Training? Warum ist das für ihn so leicht. Etc. pp. Vielleicht kennt ihr solche Momente.
Vergleichen, Bewerten, Wettkampf
Ohne jetzt ein Riesenfass aufmachen zu wollen… Viele von uns wachsen in einem Umfeld des Vergleichens und Bewertens auf und das ist erstmal total normal. Vergleichen ist gerade zu Beginn unserer Entwicklung ein entscheidender Mechanismus, Feedback zu erlangen, um uns einerseits selbst verorten und so finden zu können und andererseits voneinander zu lernen. Anhand der Anderen können wir sehen, wo wir stehen. Das funktioniert wie ein menschliches GPS. Genauso können wir durch Beobachten viel über Wirkung von Handlungsweisen lernen und müssen nicht alles selbst erproben. Im Grunde ist das unser Zugriff auf das kollektive Verhaltenswissen unseres Umfeldes.
Das klingt jetzt schon fast akademisch, ist aber im Grunde ein automatisierter, erstmal unterbewusster Prozess. Deswegen sind viele Kinder so erpicht auf Wettkämpfe. Sie suchen die Entwicklung. Nur kommt irgendwann der Moment, an dem unser Standpunkt bewertet wird. Wettkampfsport, Schulnoten und Marktwirtschaft sind da wohl die prominentesten Beispiele für Leistungsdruckerzeuger. Oft ist da aber eine allgemeine Präsenz im Alltag, der es sich schwer enziehen lässt. Das kindliche Bedürfnis angenommen zu werden und seinen Platz zu finden, wird benutzt, um Leistung zu erzeugen oder Kinder zu Dingen zu animieren, auf die sie keine Lust haben. Verständlich, denn es funktioniert gut und ist bequem. Es ist billig, aber nicht ohne Konsequenzen.
Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem die Bewertung des Wettkampfes wichtiger wird, als der Wettkampf an sich. Der spielerische Prozess wird eingetauscht gegen ein konstantes Gefühl, nicht gut genug zu sein, oder die Angst der Gewinner*innen, irgendwann nicht mehr gut genug zu sein. Gerne wird dieses Blockiert-sein in der kindlichen Entwicklung als Erwachsen-werden bezeichnet. Fühlt sich für mich nicht an wie true story.
Wenn Wettkampf im weiteren Sinne schon in unseren Kinderschuhen steckt, ist die Frage also nicht, ob Art du Déplacement und Wettkampf zusammengehen oder nicht, sondern wie wir mit Wettkampf in Art du Déplacement umgehen.
Das Kampf in Wettkampf
Vielleicht habt ihr ja bereits Breaking the Jump von Julie Angel* gelesen oder habt andersweitig von den Geschichten gehört, in denen Animes wie Dragonball oder Actionhelden wie van Damme in der Entstehung von Art du Déplacment eine große Rolle für die anfängliche Motivation, stärker zu werden, gespielt haben. Und mal ehrlich, wer will nicht zumindest einmal im Leben ein bisschen wie Jackie Chan sein? Gekonnt abrollen, wenn man am Bordstein hängen bleibt.
Auch in der ganz frischen Generation meiner Kurse gibt es diese Bilder. One-Punch-Man. Ein Typ, dessen Superpower aus täglichen 100 Liegestütz, Sit-ups und Kniebeugen sowie 10 km laufen hervorgegangen ist und der sonst sein Leben bescheiden und in stoischer Gelassenheit lebt. Hin und wieder rettet er die Welt. Nicht das schlechteste Vorbild.
No problems here. In diesen Beispielen setzt das Wetteifern mit sogar unerreichbaren Vorstellungen enorme Energie frei. Es hilft, aus Tatendrang Tatkraft werden zu lassen. Problematisch wird es erst, wenn diese Idealvorstellungen unsere Zufriedenheit definieren. Bis wir sie erreicht haben, fühlen wir uns schlecht und wenn wir sie erreicht haben, suchen wir uns nach einem sehr kurzen Hoch neue Maßstäbe. In diesem Szenario ist Wettkampf kontraproduktiv und mitunter zerstörerisch. Nicht selten führen diese Vorstellungen zu Lähmung oder Übereifer. Tatendrang wird zum Selbstmitleid.
Der Weg raus?
Frag dich immer, ob dir der Blick zu den anderen nutzt. Was tun deine Idealvorstellungen für dich? Treiben sie dich an? Helfen sie dir, selber loszukommen? Und vorallem, fühlst du dich durch sie besser? Wenn nicht, hau sie weg. Schmeiß alles über Board. Kämpfe keine Kämpfe, die nicht sein müssen. Du könntest stattdessen trainieren und das Leben genießen. Hab dich lieb.
Eine solide, reflektierte Ausgangsbasis sorgt dafür, in der Freude über den Erfolg der anderen Motivation und damit Energie für sich zu finden. Ein Spiel, in dem wir uns alle gemeinsam fortbewegen und uns gegenseitig vor Augen führen, was durch kontinuierliche Praxis alles möglich sein kann. Erst ein Ungleichgewicht an dieser Stelle macht Wettkampf unerträglich und lässt uns dann vielleicht laut schreien, dass er mit Art du Déplacement unvereinbar sei. Doch eigentlich ist es nicht der Wettkampf in Meisterschaften sondern der Wettkampf in der individuellen Praxis, der zersetzt. Ihr wollt Art du Déplacement rein halten? Dann solltet ihr zu erst vor eurer eigenen Haustür kehren, denn da beginnt die Reise zum nächsten Training.
Das Bild zusammen mit Oli ist von Jonas Zeidler am Neuen Palais in Potsdam eingefangen.
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